Festansprache von Dr. Georg Wildmann

Festansprache bei der Dank- und Gedenkveranstaltung in Leonding-Hart am 23. Oktober 2004 von Dr. Georg Wildmann

(Vorbemerkung: Die Rede hat als Zielgruppe die betagten Wissensträger der Erlebnisgeneration der Donauschwaben von Oberösterreich sowie die anwesenden Politiker des Landes, darf also nicht als Stimme der Landsmannschaftsführung der Donauschwaben Österreichs aufgefasst werden. Infolge der begrenzten Zeit wurden die im nachfolgenden Wortlaut zurückgesetzten Teile nicht gesprochen.)

Es ist mir die Ehre zugedacht, die Festrede zu halten. Es sollte eine Dankesrede sein. Dankesreden zu halten ohne Schönfärberei, ist ein Kunststück. Nun hat dieses Kunststück schon mein Vorredner zusammengebracht. So denke ich, es wäre dieser Stunde gedient, eine Situationsanalyse zu geben: Wo stehen wir als Donauschwaben und wofür wären wir dankbar? Dies auch ohne Schönfärberei.

Unsere Vertreibung und Enteignung war völkerrechtswidrig. Rückgabe des Eigentums oder Entschädigung sind nach Völkerrecht erfordert. Doch ist die Frage der Entschädigung der Heimatvertriebenen deutscher Muttersprache bis heute, 60 Jahre danach, eine offene Frage geblieben. Die treibende Kraft, die Frage so zu lösen, dass ein Rechtsfriede und eine Rechtsicherheit gegeben wäre, hätten vor allem die deutschen Regierungen der letzten Jahrzehnte sein müssen.

Es mag für sie eine Reihe von Gründen dafür gegeben haben, die Frage der Wiedergutmachung offen zu halten. Heute hören wir immer nur eines: “Die Vertreibung war ein Verbrechen, - aber - im Namen der Deutschen wurde im II. Weltkrieg in Polen, in Tschechien in Russland, in Ungarn in Jugoslawien entsetzlich viel zerstört und Unheil angerichtet, daher wollen wir von euch für unsere Heimatvertriebenen nichts fordern. Wer das anders sieht, ist ein Ewig-Gestriger.” Es gab und gibt, besonders bei den deutschen Regierungen, keinen politischen Willen, Entschädigungen einzufordern oder eine innerstaatliche Lösung energisch anzugehen. Man hält die Entschädigungsfrage juristisch bis heute offen und in Schwebe.

Ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, man hat sie inzwischen de facto stillschweigend politisch erledigt.

Einmal noch - in den Jahren 1998 und 1999 - herrschte ein europaweites Bewusstsein, die Benešdekrete und AVNOJ-Beschlüsse müssten aufgehoben werden, bevor Tschechien, die Slowakei und Slowenien der EU beitreten. Es gab dazu eine Reihe von öffentlich wirksamen parlamentarischen Entschließungen, aus denen jene des US-Repräsentantenhauses vom 13. Oktober 1998, des Europaparlaments vom 15. April 1999 und des Österreichischen Nationalrats vom 19. Mai 1999 herausragen. Auch die OÖ. Landesregierung erhob dankenswerter Weise diese Forderung. Abgesehen davon, dass Landeshauptmann Dr. J. Pühringer bei jeder Gelegenheit die Aufhebung dieser Dekrete noch vor Beitritt dieser Staaten zur EU forderte.

Je näher indes der Zeitpunkt der Aufnahme der neuen Länder in die EU rückte, desto mehr schwand auf oberster EU-Ebene der politische Wille, über die Aufhebung der Beneschdekrete und AVNOJ-Beschlüsse zu verhandeln. Der sehr fragwürdige Grundsatz: “Die Nachkriegsordnung ist unantastbar. Die Grenzen liegen fest, also sind auch alle Ansprüche der einstigen Bewohner nicht mehr zu verhandeln.” wurde bestimmend. Ein politischer Totschlag-Grundsatz. (G.S. hat ihn neulich in Warschau und Prag bekräftigt)

Im Gefolge der restriktiven Verhaltens der deutschen Regierung zeigte auch der Erweiterungskommissar der EU, Günther Verheugen, kein Interesse, die Aufhebung der Benešdekrete von Tschechien und in analoger Weise die Aufhebung des AVNOJ-Beschlusses vom 21. November 1944 von Slowenien mit Nachdruck einzufordern. AVNOJ ist die Abkürzung für “Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens,” und dieses Provisorische Parlament der Partisanenbewegung hat alle Bürger deutscher Muttersprache zu Volksfeinden erklärt, ihnen die Bürgerrechte aberkannt und ihr sämtliches Vermögen konfisziert. Im Zuge der Beitrittsverhandlungen mit Slowenien war von einer Aufhebung dieses AVNOJ-Beschlusses in den Medien nichts mehr zu hören. Alle EU-Gremien sind in der Endphase der Beitrittsverhandlungen in der Vertriebenen-Frage weich geworden und zurückgewichen.

Für uns entsteht daraus (im Rückblick auf die letzten zwei drei Jahre) der generelle Eindruck: Die Europa-Politiker von heute, namentlich jene des EU-Ministerrats, wollen offenbar den Friedensschluss mit der “Nachkriegsordnung” von 1945: Heimat bleibt verloren, Eigentum wird nicht entschädigt, die kriminellen Vollstrecker bleiben de iure (Tschechien, Slowakei) oder de facto (Slowenien und Serbien) amnestiert. Es ist also der Schluss zulässig: Die EU mutet uns Vertriebenen die Akzeptanz des Opferstatus zu. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die maßgebenden Politiker Europas - stillschweigend - mit der “biologischen Verzichtserklärung” der Erlebnisgeneration der Heimatvertriebenen rechnen.

Das meine ich, wenn ich sage: Rechtlich ist unsere Entschädigung zwar offen – politisch aber erledigt.

In ihren Regierungserklärungen haben sich die beiden letzten österreichischen Regierungen diesem politischen Trend nicht voll angeschlossen, wenn man an die Aussage denkt, man werde um “sachgerechte Lösungen” in der Vertriebenenfrage bemüht sein.

Völkerrechtlich offen - politisch erledigt; diese Rechtsunsicherheit bringt auch unsere Landsmannschaftsführungen in ein echtes Dilemma: Auf der einen Seite sollten sie, realpolitisch gesehen, dem Trend auf Entschädigungsminimierung folgen, sie sollen Vereinbarungen und freundlichen Dialog mit den Kindern und Enkeln der Vertreiber aufbauen, weil nur so die Brückenfunktion erfüllt werden kann, die unsere österreichischen Politiker von uns fordern, und weil nur so die Möglichkeit besteht, Gedenkstätten bei den Friedhöfen und Massengräbern zu errichten. Auf der anderen Seite müssen sie stets auch die materielle Wiedergutmachung einfordern, weil sie kein Recht haben, im Namen der Donauschwaben auf eine solche zu verzichten.

Wie könnte in dieser Situation der realpolitische Weg ausschauen?

Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen in Deutschland, hat einen Weg gewiesen, der mir sehr bedenkenswert erscheint. Sie hat am 4. September dieses Jahres in Berlin beim alljährlichen Tag der Heimat gesagt: “So richtig die Feststellung ist, dass nicht nur die Vertreibung, sondern auch die Enteignung völkerrechtswidrig war und ist, so weltfremd ist die Vorstellung einiger, dass die Heimatvertriebenen an eine volle Restitution ihres Eigentums wirklich glauben oder auch nur an eine angemessene Entschädigung. Es geht vielmehr um die Heilung des Vertreibungsunrechts…. Die Vermögensfrage spielt für die meisten Vertriebenen keine zentrale Rolle. Wer das ernsthaft bestreitet, lebt auf einem anderen Stern. Die traumatischen, seelischen und körperlichen Folgen der Vertreibung stehen für alle im Vordergrund und der Zorn über mangelndes Mitgefühl.” Soweit Frau Steinbach.

Ihre wegweisende Aussage lautet: “Heilung des Vertreibungsunrechts” unter Absage an (Verzicht auf) eine angemessene Entschädigung!

Und Heilung des Vertreibungsunrechts mit Absage an eine angemessene Entschädigung war bisher auch der Weg, den die für uns in Frage kommenden Staaten - recht und schlecht - gegangen sind.

Ungarn hat sich für die zwangsweise Aussiedlung seiner Donauschwaben entschuldigt und auch den Ausgesiedelten Kupons angeboten, mit denen sie Objekte in Ungarn hätten erwerben können. Rudi Reimann, unser Bundesobmann, hat neulich gemeint, diese Lösung hätte Geld ins Land gebracht. Wie dem auch sei, die Ungarn-deutschen haben es als eine eher symbolische Wiedergutmachung empfunden. Der gute Wille mag für das schwache Werk gelten!

Rumänien hat nicht vertrieben, hat aber in seiner kommunistischen Phase alle enteignet und damit die schwäbischen sozialen Dorfstrukturen zerstört, in der Folgezeit aber ein deutschsprachiges Schul- und Kulturwesen zugelassen und eine enorme Spätaussiedlung nach Deutschland toleriert.

Die Banater Schwaben zu Hause konnten nach der Wende mit einiger Mühe landwirtschaftliche Nutzflächen und Häuser wieder zurückbekommen. Auch für die im Ausland Lebenden ist es grundsätzlich möglich, an das verlorene Gut heranzukommen, praktisch freilich infolge vieler formalistischer Hürden meist unergiebig. Alles in allem ist Rumänien bemüht, die Voraussetzungen für die Aufnahme in die EU in den nächsten 2 - 3 Jahren zu schaffen. Und man spürt auch, angesichts dessen, was man den Schwaben und Sachsen angetan hat, einen Hauch von schlechtem Gewissen, jedenfalls mehr, als man es bei den Tschechen verspüren kann.

Kroatien hat angedeutet, dass der AVNOJ-Beschluss vom 21. November 1944, der die Entrechtung und Enteignung verfügte, nicht mehr gilt; es hat unsere Landsleute, die noch in Slawonien leben, als autochthone Volksgruppe anerkannt; es hat die Errichtung der Gedenkstätten auf dem Gelände der Todeslager von Kerndia und Valpovo gestattet. Es hat sie damit auch moralisch rehabilitiert, es hat nämlich damit ausgedrückt: “Die hier liegen, waren keine Verbrecher.” Verbrecher bekommen keine Ehrenmale. Kroatien zieht auch die im Ausland lebenden vormaligen Staatsbürger in sein Entschädigungsgesetz ein, wenn ein zwischenstaatliches Abkommen getroffen wird, in unserem Falle also zwischen dem kroatischen Staat und Österreich. Leider werden wir, was den Abschluss des Vertrages betrifft, von einem Termin auf den anderen vertröstet. Man hat den Eindruck, dass es sowohl Kroatien wie auch unser Außenministerium nicht besonders eilig hat. Man lässt die biologische Uhr ticken.

In Serbien hat das Parlament in Belgrad 2002 in seinem Minderheitenschutzgesetz die deutsche Minderheit als autochthone Volksgruppe anerkannt. Der Verfassungsgerichtshof hat im März 2003 erklärt, dass die AVNOJ-Bestimmungen schon seit 2002 kein Teil der serbischen Rechtsordnung mehr sind. Er als Verfassungsgerichtshof könne nur die Auswirkungen und Folgen beurteilen. Die Folgen des AVNOJ-Beschlusses vom 21. November 1944 waren für uns: Eigentumsberaubung, Lagerinternierung, Tod von 60.000 Zivilpersonen, Zwang zur Flucht, gesundheitliche Schädigung und schließlich dreijährige zwangsweise Arbeitsverpflichtung für die im Land Gebliebenen. Wie will man mit diesen Folgen des Beschlusses des Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung - das heißt ja AVNOJ - juristisch umgehen?

Das Parlament der Autonomen Provinz Wojwodina, hat im März vergangenen Jahres eine Resolution gefasst, die besagt: Das Unrecht, das durch die Anwendung des Prinzips der Kollektivschuld im II. Weltkrieg und unmittelbar danach angetan wurde, ist zu überwinden. Und zwar so, dass alle Gesetze (“normativen Akte”) die die Kollektivschuld als Grundlage haben, zu überprüfen und die unschuldig Betroffenen zu rehabilitieren sind. Das Wojwodina Parlament werde sich an das Parlament in Belgrad wenden mit dem Vorschlag, diese Gesetze aufzuheben.

Wir hoffen nun - mit einiger Sorge -, dass das neu gewählte Parlament der Wojwodina bei dieser Resolution bleibt.

Wenn man das Verhalten dieser unserer vier vormaligen Heimatländer zusammenfasst, dann sieht man, dass die politische Marschrichtung, die sie nach Zusammenbruch des Realsozialismus eingeschlagen haben, genau in die Richtung geht, die Frau Steinbach als einzig realistische bezeichnet hat: Heilung des Vertreibungsunrechts unter Absage an eine angemessene Entschädigung. Ich glaube, mehr wird politisch nicht durchsetzbar sein. Bitter oder nicht - das ist unser europäisches Nachkriegsschicksal. Eines wird - nebenbei bemerkt - auch deutlich: Die Noch-Nicht-Mitglieder der EU haben ihren Vertriebenen gegenüber größeres Entgegenkommen gezeigt als die EU-Mitglieder Polen und Tschechien!

Wenn unsere Landsmannschaftsführungen das akzeptierten, was die Präsidentin des BdV ohnehin schon vorgeschlagen hat, dann täten sie sich leichter im Dialog mit den gutwilligen Politikern der alten Heimat. Sie könnten sagen: “Versprecht uns zu tun, was ihr an Entschädigung - oder besser: Gutmachung - leisten könnt. Dass das nicht annähernd den Verlust, den wir erlitten haben, ersetzen wird, das wissen und akzeptieren wir. Aber betrachtet und erklärt uns als moralisch rehabilitiert, als ehrenhafte Menschen, die keine Landesverräter waren, die ihrer alten Heimat verbunden sind; und schreibt die Wahrheit in eure Schulbücher und wissenschaftlichen Werke.”

Was bleibt uns angesichts dieser Situation an Wünschen an die Politiker und Verantwortungsträger hier in unserer nun schon 60jährigen neuen Heimat, realistisch, vom Grundsatz ausgehend: “Politik ist die Kunst des Möglichen”? -

Drei Dinge möchte ich unseren Politikern ans Herz legen: Das Humanitäre, das Empathische und das Kulturelle.

Das Humanitäre: An einem Beispiel.

Wenn ein Landsmann, wie schon mehrmals geschehen, Lebensmittel sammelt, einen Lastwagen mietet, die Sachen in die Wojwodina transportiert und sie unter den dortigen pensionierten Landsleuten verteilen lässt - diese sind alt, haben eine minimale Pension und es geht ihnen schlecht - da kann es passieren, dass dieser Landsmann kommt und fragt: Könnt ihr mir helfen bei den Transportkosten? Wenn für solche gelegentliche Hilfe eine offene Hand da ist, dann ist humanitär geholfen!

Bei einem Treffen in Wien sagt der Vertreter der Banater Schwaben aus Temeswar, sie müssten ein Deutsch-Lehrbuch für die achte Klasse Gymnasium drucken, wüssten aber nicht, woher sie das Geld bekommen sollen. Einer unserer parlamentarischen Vertreter fragte nachher nur eines: Wieviel brauchen die in Temeswar für das Schulbuch? Da ist mir eines klar geworden: Mit politischen Erklärungen und großen Hilferufen können unsere Parlamentarier wenig anfangen. Aber: die brauchen ein Buch, Größenordnung vielleicht zweitausend Euro - da hat es beim Politiker gefunkt. Damit konnte er etwas anfangen! Und da ist er bereit, einzuspringen.

Das meine ich mit der konkreten humanitären Offenheit. Ich möchte unseren Politiker sagen: Bewahren sie diese Offenheit!

Empathie: Das Zweite, die Empathie. Empathie meint die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, seine Bedürfnisse und Interessen wahrzunehmen und das dann im eigenen Handeln zu berücksichtigen.

Vor drei Jahren (Mai 2001) gab es in Wien ein vom Verband Volksdeutscher Landsmannschaften Österreichs - er feiert in diesem Jahr sein 50jährige Bestandsjubiläum - initiiertes Treffen aller Vertreter der deutschsprachigen altösterreichischen Volksgruppen. Erstmals übrigens. Wir waren mit diesen unseren Landsleuten ins Parlament geladen - der Hausherr, der eingeladen hatte, ließ sich vertreten. Wir waren zu einem Imbiss ins Wiener Rathaus geladen - der Hausherr, der eingeladen hatte, ließ sich vertreten. Der Bundeskanzler hatte schon im vorhinein die Anhörung der Berichte an einen höheren Politiker delegiert. Es war irgendwie deprimierend - man hatte den Eindruck: Du kommst als Vertreter einer deutschspra-chigen Minderheit aus dem Gebiet der großen Donaumonarchie an die heutige Spitze der österreichischen Politik nicht heran. Und Du weißt nicht, warum: wirst du ignoriert, bist du politisch uninteressant oder hat man vor Dir Berührungsangst.

Oder: Wir von der Erlebnisgeneration erleben es alljährlich, dass es Gedenktage bloß für die “Opfer des Faschismus” gibt, nicht aber für “Alle Opfer der Gewaltherrschaft”. Die Öffentlichkeit und Politik merkt nicht, wie frustrierend und schmerzlich es für uns ist, unsere Toten als Opfer zweiter Klasse empfinden zu müssen. - Da träumen wir von mehr Mut zur Empathie für uns seitens der deutschen und österreichischen Öffentlichkeit, auch seitens der Medien; vom Mut, von unserer Warte aus zu denken und von unserem Herzen aus zu fühlen. Damit das weniger werde, was Frau Steinbach als “Zorn über mangelndes Mitgefühl” bezeichnet hat.

Das Kulturelle: (Ein Drittes: das Kulturelle) Wenn man noch tiefer geht, in die Seele, stellt sich die Frage: Was hilft uns von der Erlebnisgeneration, uns “seelisch Kriegsversehrten,” wirklich, unsere wiederauflebenden Schmerzen der Erinnerung, unsere seelischen Verletzungen, unsere Traumata, unsere emotionale Heimatlosigkeit so weit zu heilen, dass man in die kontemplative Sphäre eines Altseins kommt, wo man die Erinnerung rufen und wieder - schmerzfrei - ruhen lassen kann.

Ich möchte das, was meines Erachtens uns in der Tiefe der Seele hilft, mit dem Begriff “Erinnerungskultur” kennzeichnen. Was heißt das konkret für mich als Donauschwaben aus der Wojwodina, Kroatien und Rumänien?

Konkret heißt das für mich, dass über den Orten unserer Vernichtungslager Gedenkstätten stehen, zu denen man reisen kann, um die Trauerarbeit nachzuvollziehen. Oder wenigstens weiß, dass die Orte des Grauens auch Orte der Ehre geworden sind.

Erinnerungskultur konkret besteht für mich in der Errichtung eines Museums, kombiniert mit einem “Haus der Begegnung”, je eines in Kroatien, Serbien und Rumänien, mitfinanziert und erhalten von diesen Staaten, - das wäre auch eine Form materieller Entschädigung - Orte der Erinnerungsgemeinschaft im Austausch, wo ich weiß, dass Begegnungen und Tagungen stattfinden und unsere Kultur und Geschichte sichtbar wird und bleibt. Der Anfang ist ja gemacht mit dem “Deutschen Haus” in Subotitza, dessen Ankauf von Deutschland finanziert wurde.

Ich träume manchmal von die Errichtung eines Dokumentationszentrums zur gemeinsamen Kultur und Geschichte, wenn diese Länder einmal bei der EU sind, wo auch unsere Geschichte dokumentiert und wissenschaftlich weiterverarbeitet wird. Geistige Erinnerungskultur als Instrument des Friedens.

Allerdings müssen zunächst wir Donauschwaben der Erlebnisgeneration selbst dazuschauen, dass solche Orte entstehen, denn wir stehen in einem hohen Lebensalter und die Kinder- und Enkel jener Generation, die uns vertrieben hat, wissen nur mehr wenig, und spüren sich noch weniger verantwortlich für eine Wiedergutmachung. Die Initialzündung zur Einrichtung solcher Stätten der Erinnerungskultur muss von uns ausgehen. Die Spendenaktionen für die Errichtung von Gedenkstätten und - kreuzen über den Massengräbern - jetzt sind es schon fünf - waren und sind ein guter Anfang.

Schluss: Heilung des Vertreibungsunrechts mit Absage an eine angemessene Entschädigung: mit Inkaufnahme der symbolischen Entschädigung - das kristallisiert sich wohl als einzig realistischer und politisch durchsetzbarer Weg heraus, der sich den Heimatvertriebenen deutscher Muttersprache in der EU öffnet. Wenn unsere Politiker hier in diesem Land und das öffentliche Bewusstsein in Österreich uns bei der Heilung des Vertreibungsunrechts weiterhin helfen: im Sozial-Humanitären, im mutigen Mitfühlen und in der Pflege einer heilenden völkerverbindenden Erinnerungskultur - dann wollen wir schon im Voraus aus ganzem Herzen Danke sagen!

2017-02-06